Mittwoch, 6. Januar 2016

ZQP-Studie: Regelungen zur Vereinbarkeit von Beruf und Pflege kommen nicht an

Die 2015 in Kraft getretenen gesetzlichen Änderungen sind vielen Erwerbstätigen unbekannt 




Berlin, 5. Januar 2016. Auch ein Jahr nach Einführung der neuen Regelungen zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf glaubt die große Mehrheit der erwerbstätigen Deutschen nicht, dass sich Beruf und Pflege gut vereinbaren lassen. Lediglich 7 Prozent sind der Meinung, man könne parallel zum Berufsleben gut oder sogar sehr gut für einen pflegebedürftigen Angehörigen sorgen. Zwar ist das Gesetz faktisch in Kraft getreten, aber noch nicht in der Erwerbsbevölkerung angekommen, so das Fazit einer repräsentativen Erhebung der Stiftung Zentrum für Qualität in der Pflege (ZQP).

„Zwar bieten die aktuellen gesetzlichen Regelungen vielfältige Entlastungsmöglichkeiten, dennoch bleiben die Maßnahmen zu oft ungenutzt, da viele Berufstätige noch nicht ausreichend über die bestehenden Gesetze informiert sind“, sagt Dr. Ralf Suhr, Vorstandsvorsitzender des ZQP.

Auf die Frage, wie gut sich die Teilnehmer der ZQP-Umfrage über die Regelungen zur Vereinbarkeit von Beruf und Pflege informiert fühlen, antworteten 84 Prozent mit „eher schlecht“ oder „sehr schlecht“. So ist zum Beispiel der großen Mehrheit die Familienpflegezeit unbekannt (ebenfalls 84 Prozent), die einen Rechtsanspruch auf reduzierte Arbeitszeit und teilweise Freistellung vorsieht. Ähnliches gilt auch für die halbjährige Pflegezeit (82 Prozent) sowie die zehntägige Freistellung (72 Prozent). Selbst bei Personen mit eigener Pflegeerfahrung gilt: Nicht einmal die Hälfte kennt die verschiedenen Optionen.

Dabei würden womöglich mehr Menschen die Möglichkeiten nutzen, wenn Sie besser darüber Bescheid wüssten – dies zeigt sich bei der Familienpflegezeit: Je besser sich die Befragten über das Gesetz informiert fühlen, desto eher können sie sich vorstellen, es auch in Anspruch zu nehmen. Bei den gut informierten Befragten sind es 44 Prozent. Von denen, die ihre Kenntnisse als schlecht einschätzen, würden sich lediglich 30 Prozent dafür entscheiden.

Zudem äußern Berufstätige, die keine Familienpflegezeit für sich in Betracht ziehen, vielfältige Vorbehalte: 76 Prozent geben finanzielle Gründe und 23 Prozent organisatorische Probleme an. Auch die Angst vor beruflichen Nachteilen würden immerhin 43 Prozent davon abhalten, die Familienpflegezeit tatsächlich zu nutzen. Zudem bestehen nach wie vor Ängste, dass Vorgesetzte (19 Prozent) oder Kollegen (9 Prozent) wenig Verständnis haben. „Unsere Studienergebnisse zeigen auch, dass die Möglichkeiten der Politik, die Vereinbarkeit von Beruf und Pflege zu fördern, begrenzt sind. Deshalb ist vor allem eine pflegesensible Unternehmenskultur gefordert, um einen offeneren Umgang mit dem Thema Vereinbarkeit von Beruf und Pflege zu ermöglichen. Aber auch um betrieblich passende Unterstützungsangebote für Mitarbeiter anbieten zu können“, so Suhr.

Methoden und Vorgehensweise

In der dieser Auswertung zugrundeliegenden, anonymen Bevölkerungsbefragung wurden Einstellungen aus dem Themenbereich „Vereinbarkeit von Pflege und Beruf“ erhoben. Hierfür wurde vom 11. bis 24. November 2015 eine repräsentative Stichprobe von1008 berufstätigen Deutschen ab 18 Jahre befragt. Die statistische Fehlertoleranz der Untersuchung liegt in der Gesamtstichprobe bei +/-3 Prozentpunkten.

Hintergrundinformationen zum Gesetz

Für die Organisation und Übernahme der Pflege eines Angehörigen sieht das Gesetz folgende Möglichkeiten vor:

  • Kurzfristige 10-tägige Freistellung mit Lohnersatzleistung: Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben einen Rechtsanspruch auf eine kurzfristige, maximal 10-tägige Freistellung für die Organisation einer akut eingetretenen Pflegesituation eines nahen Angehörigen. Sie erhalten in dieser Auszeit mit dem Pflegeunterstützungsgeld eine Lohnersatzleistung in Höhe der Leistung des Kinderkrankengeldes, das von der sozialen Pflegeversicherung getragen wird. Als Bruttoleistung werden bis zu 90 Prozent des ausgefallenen Nettoentgelts bezahlt.
  • Pflegezeit als Rechtsanspruch mit zinslosem Darlehen: Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben einen Rechtsanspruch auf maximal 6 Monate unbezahlte volle oder teilweise Freistellung von der Arbeit, um sich um einen pflegebedürftigen Angehörigen zu kümmern. Zur besseren Absicherung des Lebensunterhalts in dieser Phase haben sie einen Anspruch auf ein zinsloses, monatsweise ausgezahltes Darlehen, das sie nach Ende der Pflegezeit in Raten zurückzahlen müssen.
  • Familienpflegezeit als Rechtsanspruch mit zinslosem Darlehen: Beschäftigte haben einen Rechtsanspruch auf eine teilweise Freistellung von bis zu 24 Monaten, wenn sie einen pflegebedürftigen nahen Angehörigen in häuslicher Umgebung pflegen. Dabei muss eine Mindestarbeitszeit von 15 Stunden wöchentlich eingehalten werden. Zur besseren Absicherung des Lebensunterhalts während der reduzierten Arbeitszeit haben sie einen Anspruch auf ein zinsloses Darlehen, das sie nach Ende der Familienpflegezeit schrittweise zurückzahlen müssen.
  • Kombination aus Pflegezeit und Familienpflegezeit: Die Pflegezeit und die Familienpflegezeit können miteinander verzahnt werden und auch ineinander übergehen. Die Gesamtdauer aller Freistellungsmöglichkeiten beträgt zusammen höchstens 24 Monate. Zieht sich die Pflege länger als 24 Monate hin, können mehrere Angehörige die Pflegezeit oder Familienpflegezeit nehmen – nacheinander oder parallel.
  • Begleitung in der letzten Lebensphase: Angehörige haben einen Rechtsanspruch darauf, in der letzten Lebensphase des pflegebedürftigen Familienmitglieds drei Monate lang weniger zu arbeiten oder auch ganz auszusetzen. Sie können so für ihre Angehörigen auf ihrem letzten Weg da sein. Auch sie haben einen Anspruch auf das zinslose Darlehen.

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