Dienstag, 19. August 2014

Schmerz, der oft unterschätzte Begleiter von Altersleiden

Demenz tut nicht weh. Doch betroffene Menschen verlieren die Fähigkeit, ihren Schmerz zu kommunizieren – und erhalten darum zumeist keine adäquate Therapie. 

Bei anderen Erkrankungen, etwa Parkinson, schenken Experten dem Symptom Schmerz erst seit kurzem überhaupt Aufmerksamkeit. Auf dem Deutschen Schmerz- und Palliativtag in Frankfurt/Main präsentieren Experten Strategien, wie man Schmerz im Alter erfassen, messen und behandeln kann. 
„Demenzpatienten erhalten keine adäquate Schmerzbehandlung“ kritisiert der Geriater Dr. Albert Lukas von der Agaplesion Bethesda Klinik in Ulm, einem Zentrum für Altersmedizin. Untersuchungen zeigen, dass bei gleicher Schmerzursache Demenzkranke nur ein Drittel der Morphindosis erhalten, die nichtdemente Patienten in solchen Fällen erhalten. Selbst mit einfachen Analgetika sind Demenzpatienten unterversorgt: Sie erhalten nur die Hälfte der bei anderen Patienten üblichen Dosis.
Betroffen von dieser Unterversorgung sind 20 bis 50 Prozent der Älteren. Sie haben Demenz und Schmerzen. Werden die Schmerzen nicht ausreichend behandelt, reduziert dies die Lebensqualität und fördert Depression und Angst. Der Grund für die Therapiedefizite: „Eine Demenz erschwert die Schmerzerkennung“, stellt Lukas fest.
Es gibt zwar Hinweise, dass die Schmerzwahrnehmung von Demenzpatienten verändert sein könnte. Ihre Schmerztoleranz (maximal erträglicher Schmerz) scheint im Vergleich zu kognitiv gesunden Menschen erhöht zu sein. Die Schmerzschwelle, ab der ein Reiz als Schmerz wahrgenommen wird, ist aber vergleichbar mit kognitiv intakten Menschen. Experimentelle Schmerzreize lösen bei Demenzpatienten längere und stärkere Aktivitäten in den schmerzverarbeitenden Strukturen des Zentralnervensystems aus.

SCHMERZERKENNUNG BEI DEMENZPATIENTEN SCHWIERIG 





Darum vermuten Experten, dass eher die Veränderung der Schmerzkommunikation Ursache der inadäquaten Therapie ist. Denn anders als bei kognitiv Gesunden, funktioniert das konventionelle Instrumentarium der Schmerzmessung – etwa mit numerischen oder verbalen Analogskalen – bei Demenzpatienten nicht. „Demente Patienten haben Probleme, Schmerzen verbal auszudrücken“, weiß Lukas. Sie sagen nicht, wenn sie Schmerzen haben und verneinen Schmerzen selbst dann, wenn sie danach gefragt werden. Darum liefert nur die Beobachtung der Betroffenen durch Angehörige oder Pflegepersonal Hinweise auf Schmerzen. Erfasst werden beispielsweise Lautäußerungen, Körpersprache oder Gesichtsausdruck. Doch die dazu verfügbaren Instrumente haben noch Schwächen.

DIAGNOSTISCHE INSTRUMENTE OPTIMIEREN 

Darum versuchen Lukas und seine Kollegen, verschiedene Beobachtungsinstrumente für die Abschätzung von Schmerzen bei Demenzpatienten zu optimieren. Sie überprüfen beispielsweise in klinischen Studien, ob bestimmte Testverfahren nicht nur helfen, Schmerz zu erkennen, sondern auch dessen Intensität messen können. Wie Lukas auf dem deutschen Schmerz- und Palliativtag in Frankfurt berichtet, zeigen die Untersuchungen, dass beispielsweise die BESD-Skala („Beurteilung von Schmerz bei Demenz“) die Schmerzerkennung sowie die Bewertung der Intensität verbessern kann. Allerdings betont Lukas, dass Schmerz nicht immer ein erfassbares Verhalten auslöst und auffälliges Verhalten auch andere Ursachen haben kann. „Da Schmerz jedoch eine der häufigsten Ursachen für scheinbar unbegründetes Verhalten ist, sollte man im Zweifelsfall eine Therapie einleiten“, so Lukas.
Diese Auffassung teilt auch PD Dr. Matthias Schuler von der Klinik für Akutgeriatrie und Frührehabilitation am Diakoniekrankenhaus Mannheim. „Demenz ist kein Analgetikum“, stellt Schuler fest. Im Gegenteil: „Es gibt Hinweise, dass Demenzkranke möglicherweise sogar größere Dosen an Schmerzmitteln benötigen als andere Patienten, da bei ihnen der Placebo-Effekt nicht greifen kann.“
Demenzpatienten mit einer schmerzhaften Erkrankung, die aber dennoch scheinbar zufrieden und gut drauf sind, bezeichnet Schuler nach seinen Erfahrungen als „Rarität“. Typisch sei vielmehr, dass die Patienten ihre Schmerzen nicht verbalisieren oder lokalisieren können.

THERAPIEN INDIVIDUELL KONZIPIEREN 

Therapeutisch setzen die Experten bei alten Patienten und Demenzkranken zwar dasselbe Repertoire an Strategien ein wie bei jüngeren, doch die Therapie müsse sehr individuell zusammengestellt werden, betont der Mannheimer Geriater. Und ähnlich wie jüngere Patienten profitieren auch ältere vor allem von multimodalen Therapien, bei denen verschiedene Verfahren miteinander kombiniert werden. „Die Patienten brauchen stets medikamentöse und nichtmedikamentöse Verfahren gleichermaßen“, betont Schuler. Die Behandlung ziele vor allem darauf ab, Kompetenzen und Funktion möglichst lange zu erhalten.

ZUR THERAPIE MOTIVIEREN 

Die Motivation der Patienten spielt bei Älteren eine ganz besondere Rolle. Das macht die Therapie zeitaufwändiger. Es dauert auch länger, bis die beste Dosis eines Medikamentes gefunden ist. „Wenn es uns gelingt, einen Patienten für ein Krafttraining zu motivieren – und dies ist auch bei leichter bis mittelschwerer Demenz möglich – wird der Gewinn für den Betroffenen sehr schnell greifbar, da sich die Muskulatur auch noch im hohen Alter trainieren lässt“, weiß Schuler. Viele Patienten profitieren auch von physikalischen Therapien, etwa Wärme- oder Kältebehandlung. Auch die transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS) kommt zum Einsatz und „Salben sind bei älteren Patienten sehr beliebt“, schmunzelt Schuler. Bei der Auswahl der Medikamente müssen die Geriater bei älteren Menschen auf eingeschränkte Organfunktionen und andere Risikofaktoren achten. Nicht-steroidale Antirheumatika setzen die Experten daher aufgrund ihrer Nebenwirkungen eher selten ein. Häufiger kommen Paracetamol oder Metamizol zum Einsatz sowie Opioide.
SCHMERZ BEI PARKINSON KEINE SELTENHEIT 
Bei einigen Alterserkrankungen können begleitende Schmerzen durch eine optimierte Therapie der Grunderkrankung gelindert werden. Dies ist beispielsweise bei der Parkinson-Erkrankung der Fall. Der Untergang von Nervenzellen im Gehirn, die den Botenstoff Dopamin produzieren, verursacht charakteristische motorische Störungen: Zittern, Muskelstarre, Bewegungsstörungen. Doch der Dopamin-Mangel verursacht auch Schmerzen. „Schmerzen gehören bei Parkinson zu den häufigsten nicht-motorischen Symptomen“, sagt Prof. Dr. Alexander Storch von der Abteilung für Neurodegenerative Erkrankungen an der Neurologischen Klinik der TU Dresden. „Bis zu zwei Drittel der Patienten sind betroffen.“

Obwohl der Schmerz bei Parkinson eine herausragende Bedeutung hat, wissen die Ärzte bislang noch wenig, wodurch er ausgelöst und wie er am besten behandelt wird. Untersuchungen belegen, dass Dopamin und die Basalganglien, jene Bereiche im Gehirn, deren Funktion bei Parkinson gestört ist, auch bei der Schmerzverarbeitung eine Rolle spielen. „Darum kann eine Optimierung der Behandlung durchaus auch Schmerzen günstig beeinflussen“, sagt Storch. Doch Schmerzen sind nicht nur die direkte Folge einer Parkinsonkrankheit, sondern oft auch die sekundäre Folge der motorischen Störungen. Schmerzen in den Gelenken und im Rücken, schmerzhafte Muskelverspannungen sind typische Begleiterscheinungen bei Parkinson. Dann brauchen die Patienten auch Schmerzmittel. „Allerdings müssen wir bei der Auswahl auf Wechselwirkungen mit den Parkinsonmedikamenten achten und Wirkungen auf die Erkrankung selbst berücksichtigen“, sagt Storch. Dies beginnt bei den Nicht-Steroidalen Antirheumatika (NSAR), welche die wassereinlagernde Wirkung bestimmter Parkinsonmedikamente verstärken können, bis hin zu Opiaten, die nicht nur mit manchen Parkinsonmitteln wechselwirken, sondern auch die Obstipation, unter der Parkinson-Patienten ohnehin häufig leiden, verstärken können.

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